19.04.2016
Frühjahrsforum der Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd
Ein Parforceritt durch die aktuelle deutsche Politik, klare Worte und viel Humor: Die beachtliche Redekunst Christian Lindners, FDP-Bundesvorsitzender und Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion NRW, schlug das Frühjahrsforum der Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd in ihren Bann; die Dreiviertelstunde seiner freien Rede verging wie im Flug. Über 150 Gäste, unter ihnen viel Prominenz aus der heimischen Wirtschaft, vor allem aus den 21 Mitgliedsinnungen der Handwerkerschaft, aus der Finanzwelt und der Politik erlebten einen FDP-Vorsitzenden in Bestform. Kreishandwerksmeister Frank Clemens wies in seiner Begrüßung darauf hin, dass nach Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier und dem Präsidenten des Deutschen Handwerks Peter Wollseifer nun zum dritten Male ein prominenter Gast zum Frühjahrsforum der Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd nach Siegen kam. Clemens stellte Christian Lindner die Region als „ein starkes Stück Südwestfalen, der stärksten Industrieregion in Nordrhein-Westfalen“, vor. Und er richtete zugleich das Augenmerk auf die Sorgen des Handwerks, etwa den Bundesverkehrswegeplan. Der zeige zwar durchaus erfreuliche Ansätze, wie beispielsweise den dreispurigen Ausbau unserer vielbefahrenen A 45, oder die Investition in das Schienennetz. „Aber für den Altkreis Wittgenstein ist die Austrocknung des Wegenetzes der Route 57 von Ferndorf ins hessische Frankenberg ein Schlag ins Gesicht!“, gab der Kreishandwerksmeister Lindner mit auf den Weg nach Düsseldorf. Viele prosperierende Wirtschaftsunternehmen aus Industrie und Handwerk seien im Wittgensteiner Land gleichsam getroffen und betroffen und gerieten wegen der fehlenden Straßeninfrastruktur in existenzielle Bedrängnis. Deutschland brauche ein „Update“, erklärte Christian Lindner. Und er meinte damit keineswegs nur die digitale Infrastruktur, die sich etwa in Nordrhein-Westfalen auf dem Niveau Rumäniens befinde und also höchst verbesserungswürdig ist. Zum Beispiel die Bildungspolitik: „Ich halte 'Abitur für alle' nicht für ein sinnvolles gesellschaftspolitisches Ziel!“, rief Lindner den Gästen zu. Doch leider gälte jemand, der aus einer Akademikerfamilie kommt und einen Handwerksberuf ergreife, häufig als Bildungsabsteiger. Systematisch werde der gesamte Bereich der beruflichen Bildung kaputtgespart und diskreditiert. Was noch viel schwerer wiege als die Sparmaßnahmen, fand er in einem Zitat seines Kollegen von den Grünen, Cem Özdemir, widergespiegelt. „Der sagte in einem Radiointerview: 'Wenn meine Eltern mich nicht so gut gefördert hätten, wäre ich nur Kfz-Mechaniker geworden'.“ Diese Einstellung, die mit ihrem Streben nach einer universitären Ausbildung in Zeiten des Fachkräftemangels vielen Handwerksbetrieben zu schaffen macht, kommentierte Christian Lindner so: „Wer einer der beiden Seiten den Respekt versagt, der hat nicht verstanden, was das Modell Deutschland ist.“ Die SPD-Politikerin Andrea Nahles aber, als Arbeits- und Sozialministerin zuständig für eine Regulierung in diesem Bereich, kümmere sich lieber „um dem Strahlungswinkel der Schreibtischlampe im Home-Office“. Überhaupt sprach sich der FDP-Politiker dafür aus, dem Bürger mehr zuzutrauen und staatliche Kontrolle und Regulierung abzubauen. Der Mittelstand habe Vertrauen verdient: „Einer Regierung, die Ihnen misstraut, sollten Sie misstrauen.“ Dass Deutschland ein Update benötige, war aber auch durchaus in technologischer Hinsicht zu verstehen – in diesem Falle unter dem Stichwort „Handwerk 4.0“. Stellvertretend für andere Gewerke nannte Christian Lindner den Einsatz neuer Technologien im Dachdeckerhandwerk, wo künftig Drohnen zur schnellen Untersuchung ebenso üblich sein werden wie zum Lastentransport. „Das alles setzt enorme Investitionen voraus. Und Sie müssen sich fragen: Was tut die Politik, um mich zu entlasten? Kommt die degressive Afa zurück? Das Geld geht für Kaufanreize für Elektroautos drauf. 5.000 Euro für einen 100.000-Euro-Tesla!“ Und wenn sich die Erbschaftssteuer schon nicht vollständig abschaffen lasse, dann solle wenigstens der Modus vereinfacht werden, etwa mit einem zehnprozentigen Satz, zahlbar über zehn Jahre. Damit rückte Lindner auch die Steuergerechtigkeit in den Fokus: „Sollte der Staat mehr Einnahmen brauchen, dann sollte sich Herr Schäuble an Google, Amazon, Starbucks und Ikea wenden“, sagte Lindner und wies damit auf international agierende Großkonzerne hin, die in Deutschland praktisch kaum Steuern entrichten müssen. „Solange dieses Problem nicht gelöst ist, verbietet sich jede Debatte über zusätzliche Belastungen des Mittelstandes!“
Die Gäste des Frühjahrsforums nutzten die Gelegenheit, dem FDP-Vorsitzenden Fragen zu stellen – beispielsweise nach dem transatlantischen Handelsabkommen. Christian Lindner: „Eine Chance, die wir nicht verpassen dürfen.“ Denn wo, so fragte er, „wo rufen wir im Falle einer globalen Krise an? In Moskau? In Peking? Nein! Wir müssen die Beziehung zu Nordamerika zukunftsfähig halten!“ Eine angenehme Aufgabe wartete auf den Gast aus Düsseldorf nach seinem Vortrag. Das heimische Handwerk konnte im praktischen Leistungswettbewerb der Handwerksjugend gleich drei Bundessieger stellen. Gerne reihte sich Christian Lindner in die Schar der Gratulanten ein und sprach seine herzlichen Glückwünsche Herrn Jan Simon Götz, 1. Bundessieger im Beruf Informationselektroniker, FR Bürosystemtechnik, (Ausbildungsbetrieb Hees Bürowelt GmbH, Siegen) sowie Herrn Wladimir Zeller, 2. Bundessieger im Beruf Metallbauer, FR: Nutzfahrzeugbau, (Ausbildungsbetrieb Lück Fahrzeugbau GmbH, Freudenberg) aus. Nicht dabei sein konnte Herr Andreas Gätjens, 3. Bundessieger im Beruf Elektroniker, FR: Energie- und Gebäudetechnik (Ausbildungsbetrieb Franz Sondermann GmbH & Co KG, Wenden), der bereits die Vollzeitmeisterschule im Elektrotechnikerhandwerk besucht. Anschließend trafen sich Christian Lindner und die Gäste des Frühjahrsforums noch zu weiteren Gesprächen im kleinen Kreis. Und Kreishandwerksmeister Frank Clemens fasste die Festrede Christian Lindners so zusammen: „Sie haben uns aus dem Herzen gesprochen.